Zensurierung & Überwachung des Internets in der Türkei – Extremgesetz #5651

In der Türkei wurde das Gesetz gegen Cyberkriminalität 2014 weiter verschärft und sorgt seitdem für Kopfzerbrechen: Es verstärkt die bereits bestehende Zensurierung und Überwachung des Internets noch weiter. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurden beispielsweise letztes Jahr Wikipedia und sogar booking.com in der Türkei gesperrt. Offenbar auf behördliche Anordnung hin! Wir schauen uns dieses unglaubliche Gesetz mit der Nummer #5651 genauer an.

Über 40.000 Webseiten von Regierung gesperrt

Gesetz #5651 wurde im Jahr 2007 ins Leben gerufen und hat das Ziel, die Persönlichkeitsrechte zu schützen – so die türkische Regierung. Aber alleine die Tatsache, dass es bereits vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde (aufgrund einer massiven Sperrung von Google-Seiten) und auch in den Medien Thema großer Kontroversen ist, spricht bereits für sich. Das Gesetz erlaubt der Regierung schlicht und einfach, Webseiten mit, aber auch ohne, gerichtliche Anordnung zu sperren. Die Webseite Engelliweb.com, welche die Sperren zu zählen versucht, berichtet von über 40.000 gesperrten Webseiten in der Türkei. Aber diese Zahl ist in Wirklichkeit wahrscheinlich weit höher … Offizielle Angaben gibt es nämlich nicht, da die zuständige Regierungsagentur TIB eine Herausgabe verweigert.

Die Bemühungen zur Verabschiedung der Gesetzesänderung nahmen Anfang 2014 Fahrt auf, nachdem die Korruptions-Aufzeichnungen türkischer Minister und Funktionäre ins Internet gelangten. Es folgte ein groß angelegte Korruptionsuntersuchung, aufgrund derer vier Minister ihr Amt niederlegen mussten. Als Gegenmaßnahme zur Veröffentlichung der Unterlagen erklärte die Regierung das neue Gesetz als berechtigt, um die „Ehre von Individuen“ gegen Diffamierung im Internet zu schützen. Das passte den Obrigen natürlich ganz gut in den Kram …

Schauen wir uns das Gesetz doch einmal genau an – welche Gründe zur Sorge gibt es tatsächlich:

  • Die Artikel des Gesetzes werden von einem Gesetz, das gänzlich ohne Bezug dazu ist, absorbiert, nämlich: „Die Organisation und Verantwortlichkeiten des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik“. Es scheint so, als würde die Regierung versuchen, Gesetzgebungen durchzusetzen, die das Internet komplett unter ihre Kontrolle bringen
  • Es ist bezeichnend, dass vor der Einreichung des Gesetzesentwurfs, der extrem technische Artikel beinhaltet, die relevanten NGOs nicht konsultiert wurden.
  • Der extreme Eifer und die Eile bei der Vorbereitung des Gesetzes sowie seine rasante Freigabe lassen wenig Zweifel daran, dass es eine Reaktion auf die Korruption ist.
  • Das neue Gesetz arbeitet mit URL-basierten Sperren anstatt den vorherigen IP-basierten. Das Ziel dahinter scheint die Sperre individueller Materialien wie Korruptionsvideos auf Youtube zu sein, anstatt gleich die ganze Youtube-Seite zu sperren. Die mit der Internetsicherheit betraute Regierungsagentur wollte die Korruptionsbeschuldigungen auf Youtube, Vimeo und Soundcloud schon sperren, bevor das neue Gesetz überhaupt verabschiedet und damit legal war. Was noch dazu kommt ist, dass entsprechende Materialien über Oppositionsgegner der Regierung weiterhin problemlos auf Internetplattformen verfügbar waren.
  • Seit Anfang 2014 wird TIB von einem ehemaligen Secret Service Funktionär geleitet. Das neue Gesetz sah vor, sein Personal ordentlich aufzustocken. Damit konnte das Ministerium seine Rolle als Überwachungs- und Zensurierungsmacht weiter ausbauen. Neben dem Sperren von Internetseiten ist TIB auch für das Anzapfen von Telefonen verantwortlich.
  • TIP-Funktionäre dürfen gemäß dem neuen Gesetz nur mehr dann strafrechtlich belangt werden, wenn ihr Vorgesetzter dies gestattet. Im Prinzip sind die Funktionäre also eigentlich immun gegen strafrechtliche Verfolgung.
  • Das Gesetz bestimmt, dass ISPs alle Internet-Logs ihrer User 2-3 Jahre aufbewahren müssen – anstatt wie zuvor nur 12 Monate. Dies schränkt die Privatsphäre der User weiter ein.
  • TIB fordert inoffiziell von den ISPs, das Deep Packet Inspection-System für Sperrungen und Überwachung zu implementieren. Das passt den ISPs natürlich gar nicht, weil sie klarerweise die Kosten dafür tragen müssen und diese in Folge logischerweise an die User weitergeben. Anders gesagt, die türkischen Internet-User zahlen für ihre eigene Überwachung …

Ein ganz schön heftiges Gesetz, oder? Da können wir doch froh sein, dass wir hier bei uns in Sachen Datenschutz und Privatsphäre mit nicht so extremer staatlicher Kontrolle zu kämpfen haben.


Erstellt am: 04/09/2018

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